Recap Session 3: Losen allein?

Was ist passiert?

Die dritte Session unserer Veranstaltung “Denkraum Demokratie – Wie weiter mit geloster Beteiligung?” widmete sich dem Thema “Losen allein?”. Welche anderen Akteure sollten in einen Bürgerrat eingebunden werden, wie lassen sich geloste Gruppen gut ergänzen? Können verschiedene Formate miteinander verzahnt werden?

Worum geht es genau?

Bürgerräte zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Teilnehmer:innen ausgelost werden. Aber gibt es eigentlich noch andere Akteure oder Personen, die man in solche Prozesse einbinden sollte? Welche Rolle spielen zum Beispiel Politiker:innen oder die Verwaltung? Wie bindet man diejenigen ein, die eventuell vom Thema betroffen sind, aber nicht ausgelost wurden?

Die Einbindung von unterschiedlichen Akteuren kann vor, während und nach einem Bürgerrat erfolgen. Typische Akteursgruppen sind Politiker:innen, Verwaltung, die organisierte Zivilgesellschaft, weitere Stakeholder und die breite Öffentlichkeit.

  • vor dem Bürgerrat: beim Prozessdesign, bei der Zuschneidung des Themas
  • während des Bürgerrats: Expertise
  • nach dem Bürgerrat: Übergabe der Ergebnisse und öffentliche Einbindung

Eine solche Einbindung und/oder Verzahnung von Formaten sollte mit Blick auf folgenden Parameter erfolgen:

  • Dauer des Bürgerrats: Je länger ein Bürgerrat dauert, desto mehr zusätzliche Akteure können eingebunden werden.
  • Komplexität des Themas: Um ein Thema oder eine Fragestellung umfangreich zu behandeln, ist es notwendig, viele verschiedene (betroffene) Perspektive abzubilden.
  • Art des Ergebnisses: Je nachdem, was und für wen eine Empfehlung erarbeitet wird, kann es notwendig sein, von Beginn an die Verwaltung und Politik einzubinden.
  • Anzahl der Teilnehmenden: Je größer ein Bürgerrat, desto mehr muss sichergestellt werden, dass alle Teilnehmenden die bereitgestellte Information auf vergleichbare Weise verstehen und verarbeiten können. Dafür muss entsprechend Zeit eingeplant werden. Wenn ein Bürgerrat andererseits wenige Teilnehmende hat, kann es wichtig sein, viele verschiedene Perspektiven einzubinden.

Welche Arten der Verbindungen sind möglich?

In Kleingruppen wurden fünf verschiedene Modelle der Verzahnung diskutiert.

1. Verzahnung Losen + Gewählte

Ein Link zwischen Bürger:innen und Politik ist wichtig und sollte vor allem im Vorfeld des Verfahrens erfolgen: Was passiert mit den Ergebnissen? Welches Interesse haben die Mandatsträger:innen an den Ergebnissen? Die Einbindung von Politiker:innen während eines Bürgerrats dagegen wird als Herausforderung gesehen: Ein Bürgerrat ist im Kern ein Format für die Bürger:innen selbst und sollte ein geschützter Ort sein, um eine produktive Atmosphäre zu ermöglichen. Nach dem Bürgerrat ist die Einbindung der Politik wieder sehr sinnvoll, um die Weiterverarbeitung der Ergebnisse zu gewährleisten.

Und schließlich könnte es auch für Politiker:innen anregend sein, mal selbst einen gelosten Prozess mitzumachen, um die konstruktive Atmosphäre des Formats zu erleben. Um aber die geschützte und produktive Atmosphäre für die Teilnehmer:innen dadurch nicht zu gefährden, ist hier gutes Prozessdesign sehr wichtig.

2. Verzahnung Losen + Verwaltung

Die Einbindung von Verwaltungsmitarbeitenden erscheint vor allem dann sinnvoll, wenn deren Fachgebiet betroffen ist. Insofern dient diese Einbindung vor allem der Vorstrukturierung des Bürgerrats, kann aber auch während des Bürgerrats hilfreich sein, um Möglichkeiten und Grenzen sowie offene Fragen direkt beim Bürgerrat zu klären und so praktikable Empfehlungen zu entwickeln. Die konkrete Umsetzung der Ergebnisse nach dem Bürgerrat sollte grundsätzlich als Aufgabe und daher gemeinsam mit der Verwaltung gedacht werden.

Eine Möglichkeit der Beteiligung ist auch, unter den Verwaltungsmitgliedern selbst auszulosen, wer am Bürgerrat beteiligt wird. Zugleich kann eine breite Beteiligung strukturell konservative Verwaltungen von der progressiven Arbeit des Bürgerrats überzeugen.

3. Verzahnung Losen + breite Öffentlichkeit

Vor allem bei längeren Prozessen sollte die Beteiligung der Öffentlichkeit vor, während und nach dem Bürgerrat sichergestellt sein, um die Legitimität und Rückbindung in die Gesellschaft zu garantieren. Vor allem vor dem Bürgerrat kann die Einbindung der Öffentlichkeit dazu dienen, Ideen zum Thema und Prozess zu sammeln. Eine Herausforderung ist dabei, einerseits den Bürgerrat als geschützten Raum für die Teilnehmer:innen zu wahren und andererseits ausreichend Einblick in die Arbeit zu geben. Eine Möglichkeit ist hier, in Berichten die Teilnehmer:innen selbst zu Wort kommen zu lassen, diese auf digitalen Plattformen zu teilen und Livestreams von bestimmten Programmpunkten nur selektiv einzusetzen.

4. Verzahnung Losen + Stakeholder

Bei der Einbindung von Stakeholdern, die sowohl organisierte Zivilgesellschaft, als auch Unternehmen sein können, braucht es besondere Sensibilität für deren Rolle im Prozess und Verhältnis zum Thema. Dabei gilt es also, transparent zu machen, wer aus welchen Gründen als Stakeholder ausgewählt worden ist und wie sich diese Betroffenheit erklären lässt. Ziel sollte es darüber hinaus sein, möglichst diverse Perspektiven abzubilden. Grundsätzlich erscheint eine Einbeziehung vor allem über Statements und Stellungnahmen sinnvoll, vor allem vor und nach dem Bürgerrat. Insbesondere nach dem Bürgerrat können solche Stellungnahmen auch die Aufmerksamkeit für die Ergebnisse erhöhen.

Wenn Stakeholder als permanente Mitglieder des Bürgerrats besetzt werden, ist die Frage, ob sie auch eine Stimmberechtigung haben und ob solche Modelle nicht Gefahr laufen, klassische Repräsentationslogiken zu reproduzieren. Stakeholder sprechen stellvertretend für bestimmte Positionen, wie es auch in repräsentativen Gremien üblich ist. Eine Kombination verspricht aber eine produktive Verbindung dieser unterschiedlichen Logiken und findet daher häufig Anwendung. Solche Modelle gibt es etwa in Bonn und in Erlangen.

5. Losen allein?

Vor allem zu Beginn eines Bürgerrats ist es notwendig, die Ausgelosten unter sich sprechen zu lassen, um einen sicheren Rahmen für die gemeinsame Verständigung und Vertrauen zu schaffen.

Welche Spannungsfelder gibt es?

In der anschließenden offenen Diskussion wurde deutlich, dass die Einbindung und Verzahnung stark in Abhängigkeit von den lokalen Bedingungen, der Betroffenheit der anderen Akteure und dem Ziel des Formats steht.

Je nachdem, wie permanent verschiedene Stakeholder eingebunden werden, wird nämlich irgendwann fraglich, wann ein Bürgerrat noch ein Bürgerrat ist. Auch die Definition von Stakeholdern je nach Betroffenheit kann kontrovers sein.

Debattiert wurde, ob und inwieweit Verwaltungen offen für innovative Prozesse sind und eine produktive Arbeit an Beteiligungsprozessen durch das Mindset einzelner Personen verstellt werden kann. Hier gilt: Nur wer das Format wirklich kennenlernt, kann sich auch dafür öffnen. Insofern ist es wohl immer sinnvoll, die Verwaltung einzubinden und ihr die Möglichkeit zu geben, an innovativen Formaten zu partizipieren.

Was nehmen wir mit?

Die Einbindung verschiedener nicht-geloster Akteure erscheint aus vielen Gründen sinnvoll und zwar vor, während und nach dem Bürgerrat. Dabei sollte garantiert werden, dass die Teilnehmer:innen ausreichend Zeit für Austausch im geschützten Raum haben. Gleichwohl ermöglicht die Verbindung mit zusätzlichen Akteuren die Abbildung von mehr Perspektiven, eine sinnvolle politische Anbindung und schafft Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit.

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