Ergebnisse der Evaluation

Hand in Hand mit der Wissenschaft – Evaluation der kommunalen Bürgerräte

Wie alle unsere Verfahren haben wir auch dieses Projekt extern evaluieren lassen. Das hilft uns einerseits zu lernen, was gut war und wo noch nachgebessert werden kann, sowie andererseits weitere Entwicklungsschritte zu gehen und neue Fragestellungen aufzuwerfen. Der Sozialpsychologe Julian Bleh vom unabhängigen Evaluationsbüro e-fect hat die Evaluation durchgeführt.

Auf dieser Seite fassen wir die wichtigsten Ergebnisse der Evaluation des Gesamtprojekts zusammen. Wer den vollständigen Bericht lesen will, findet ihn als Download am Ende der Seite.

Die Evaluation hat mit einer Kombination aus teilnehmender Beobachtung, leitfadengestützten qualitativen Interviews und einer standardisierten Vorher-Nachher-Befragung gearbeitet. Ziel war, die Wirkung der Bürgerräte zu erfassen und den Erkenntnisgewinn aus dem Gesamtverfahren zu dokumentieren.

Das Forschungs- und Evaluationsdesign

Vier Vorannahmen zur Wirkung des Projekts:

1. Losbasierte Formate ermöglichen eine inklusivere Beteiligung als offene Formate.

2. Die Bürgerräte stärken die Beteiligungsbereitschaft der Teilnehmenden.

3. Die Stadtverwaltungen erlangen durch die Zusammenarbeit im Projekt neue Beteiligungskompetenzen.

4. Die Ergebnisse bieten eine nützliche Grundlage für die Arbeit von Politik und Verwaltung.

Mit der Brille dieser Vorannahmen sehen wir uns hier den Evaluationsbericht an.

1. Losbasierte Formate ermöglichen eine inklusivere Beteiligung als offene Formate.

Die Inklusivität lässt sich an der Diversität der Teilnehmenden im Vergleich von offener Veranstaltung, an der jede:r teilnehmen kann, und dem Bürgerrat mit nur gelosten Teilnehmenden festmachen. Hier einige Erhebungsergebnisse:

Geschlechterverteilung der Teilnehmenden

Durchschnittsalter und Jahre, die die Teilnehmenden in ihrem Wohnort leben

Staatsbürgerschaft und Ost-/West-Verteilung

Politisches Interesse der Teilnehmenden

Hier wird deutlich, dass das politische Interesse der Teilnehmenden an den offenen Formaten über dem deutschen Durchschnitt, bei den Teilnehmenden des losbasierten Bürgerrats jedoch sogar unter dem Durchschnitt liegt.

Fazit zu 1: Ermöglichen losbasierte Formate eine inklusivere Beteiligung als offene Formate?

Im Vergleich zum offenen Bürgerdialog sind die Teilnehmenden der gelosten Bürgerräte tendenziell
• häufiger weiblich, jünger und wohnen seit Kürzerem in der Kommune;
• und weisen ein geringeres politisches Interesse, weniger thematische Voreingenommenheit und Beteiligungshandeln auf.

➣ An einem offenen Verfahren nehmen eher Personen teil, die hochmotiviert sind und bestehende Beteiligungsmöglichkeiten bereits nutzen.

➣ An einem gelosten Format nehmen auch diejenigen teil, die sich über Wahlen hinausgehend nicht eigeninitiativ am politischen Diskurs beteiligen.

➣ Losbasierte Formate ermöglichen eine inklusivere Beteiligung als offene Formate.

2. Die Bürgerräte stärken die Beteiligungsbereitschaft der Teilnehmenden

Veränderung der politischen Beteiligungsmotive

Fazit zu 2: Stärken die Bürgerräte die Beteiligungsbereitschaft der Teilnehmenden wirklich?

Der Vergleich zwischen vor und nach der Teilnahme am Bürgerrat zeigt:

  • keine Veränderung der politischen Beteiligungsabsicht;
  • eine Zunahme partizipativer sowie politischer Wirksamkeitsüberzeugungen und des politischen Selbstwertgefühls der Teilnehmenden.

➣ Die Bürgerräte haben keine direkte Wirkung auf die Beteiligungsbereitschaft der Teilnehmenden.

➣ ABER sie tragen dazu bei, dass die Teilnehmenden den individuellen Wert und die Wirkung der eigenen politischen Partizipation besser erkennen. Dies stellt eine wichtige Voraussetzung für die Änderung ihres Beteiligungshandelns dar.

➣ Die Bürgerräte stärken wichtige Beteiligungsmotive der Teilnehmenden.

3. Die Stadtverwaltungen erlangen durch die Zusammenarbeit im Projekt neue Beteiligungskompetenzen.

Kompetenztransfer – Lernwirkung für die Stadtverwaltung

  • Erkenntnis: „Losbasierte Bürgerbeteiligung lässt sich gut im Rahmen gängiger kommunaler Verwaltungsprozesse implementieren.“
  • Sowohl die App als auch die direkte Zusammenarbeit mit Es geht LOS waren entscheidend für die erfolgreiche Umsetzung des Aufsuchenden Losverfahrens.

➣ Beide Stadtverwaltungen sehen sich (noch besser) befähigt, ähnliche Beteiligungsverfahren eigenständig durchzuführen.

Wie viel Eigenständigkeit in der Durchführung ist sinnvoll?

  • Die Stadtverwaltung und Bürgermeister:innen sind selbst Partei im Prozess, d.h. es braucht mindestens externe Moderation.
  • (Losbasierte) Beteiligung ist nicht nur eine Frage der Kompetenz, sondern auch von Ressourcen, die in einer Kommune oft knapp sind.
  • Konzeption der Veranstaltung(en), Erstellung von Materialien, Auswertung und Ergebnisaufbereitung können zwar von der Kommune durchgeführt werden, bilden allerdings einen großen Teil des Aufwands und lassen sich gut auslagern.

4. Die Ergebnisse bieten eine nützliche Grundlage für die Arbeit von Politik und Verwaltung.

Eignung des Verfahrens für die Leitbildüberarbeitung?

  • Die Eintaktung des Beteiligungsverfahrens in das kommunalpolitische Entscheidungsprozedere war herausfordernd (insb. wegen Corona).
  • Die Kombination offener und losbasierter Formate eignet sich gut für die Beteiligung an übergreifenden und richtungweisenden kommunalen Prozessen.
  • Der geloste Bürgerrat bietet einen Abgleich, ob bestehende oder neu erarbeitete Vorschläge Partikularinteressen oder das Allgemeinwohl abbilden.

Erkenntnisgewinn für Bürgermeister

  • Einzelne neue Erkenntnisse zur themenspezifischen Problemwahrnehmung und Priorisierung in der Bevölkerung.
  • Insgesamt weniger Entdecken von neuen relevanten Themen als Verifizierung bestehender Annahmen.

➣ Die Ergebnisse sind eine nützliche Grundlage, um das Leitbild in Abstimmung mit dem Stadtrat zu überarbeiten.

Unterschiedliche Akzeptanz in Ost und West?

Die Rezeption der Verfahren im jeweiligen Gemeinde- bzw. Stadtrat deutet auf einen Ost-West-Unterschied hin:

  • Die Resonanz in Tengen war durchweg positiv. In Brandis stehen Teilgruppen des Stadtrats, insbesondere aus der AfD-Fraktion, dem Beteiligungsverfahren skeptisch gegenüber.
  • Dies ist ein Hinweis darauf, dass die große AfD-Präsenz in kommunalpolitischen Gremien in Ostdeutschland ein relevanter Ost-West-Unterschied mit Implikationen für die Akzeptanz von Beteiligungsverfahren sein könnte.

Fazit: Diversität und Deliberation

In den gelosten Formaten gab es:
➣ konstruktivere Diskussionen
➣ weniger „Querschießer:innen“ und „Besserwisser:innen“ und daher eine insgesamt wertschätzendere Atmosphäre.

Der vollständige Bericht kann hier heruntergeladen werden:

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